Algorhythmus

ChrisBrackmann

24.11.2023 / 19:00

Exklusive Vorschau: 23.11.2023 / 19:00 – 21:00

JesusChris
Witteringstr. 83
45130 Essen

Musikalisch unterstützt werden wir von unserem geschätzten Yoshino. 😇

Hi ihr!

Die letzte Solo-Ausstellung dieses Jahres sollte, wie auch die erste von Piet Kremer, ganz im Zeichen der Fotografie stehen. Leider musste Gundula Blumi aus gesundheitlichen Gründen absagen – aber wir sind sehr zuversichtlich, sie euch in 2024 vorstellen zu dürfen. Es wäre ein wunderbarer Kontrast von zwei sehr unterschiedlichen Enden der Lichtbildnerei geworden – auf der einen Seite Piets ungeschönte, aber dafür umso intensivere Einblicke in „Auf die Fresse“ – auf der anderen Gundula mit ihren poetisch-malerischen Doppelbelichtungen. Aber – machse nix. Kann passieren. Wir wünschen auf jeden Fall die innigsten und kräftigsten Genesungswünsche nach Berlin!!! Und freuen uns schon jetzt auf den Nachholtermin.

Und wie das mit den Türen so ist … eine geht zu, eine andere – ach, ihr wisst schon :-)

Jo – die Fotografie. Ursprünglich nicht als valide Kunstform betrachtet, sondern eher als nerdiges Handwerk oder dokumentarische Praxis, ändert sich dies glücklicherweise im Laufe des 20. Jahrhunderts. Bewegungen wie z.B. Surrealismus und Kubismus üben grossen Einfluss auf die damalige technisch orientierte Fotografie aus und verhelfen ihr pö a pö zu Akzeptanz und Anerkennung als eigenständiges Medium, das äusserst vielfältige Stile hervorbringt.

Heutzutage ist wiederum ihr ureigener Einfluss auf die zeitgenössische Kulturlandschaft unbestreitbar. Fotografen gelten durchaus als „vollwertige“ Künstler, deren Bilder Geschichten, Emotionen und erstaunliche Perspektiven transportieren. Sie werfen sozusagen ihr eigenes Licht auf die Natur der Dinge. Oder reflektieren es auf ihre individuelle Art und Weise.
Museen und Galerien auf der ganzen Welt widmen Ausstellungen der Fotografie. Entsprechende Werke werden neben Gemälden, Skulpturen und anderen Darstellungsformen ausgestellt und als bedeutende kreative Beiträge betrachtet. Berühmte Fotografen wie Ansel Adams, Dorothea Lange, Cindy Sherman und Andreas Gursky haben dazu beigetragen, die Fotografie als ernstzunehmende Kunstform zu etablieren. Ihre Werke werden bewundert und erzielen hohe Preise auf dem Markt.

Moderne Technologien, Smartphones und erschwingliche Digitalkameras, die Sozialen Medien, Online-Plattformen und vor allem die Software ermöglichen es im Grunde jedem Menschen, seine Bilder einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Fotografen und Amateure können ihre Werke leicht teilen und Feedback von Menschen auf der ganzen Welt erhalten, was zu mehr Sichtbarkeit und möglicherweise Anerkennung führt. Im Grunde eine Demokratisierung der Fotografie, die grossartige Dinge hervorbringen, gleichzeitig durch die schiere Inflation der Bilder auch zu Abwertung und Banalisierung führen kann. Licht und Schatten halt.

Man sagt, „die beste Kamera ist diejenige, die man immer dabei hat“. War es früher nur mit physikalischen Sachverstand, einer prall gefüllten Geldbörse und schwerem Rucksack für das umfangreiche Equipment möglich, hochwertige Bilder zu schaffen, so erledigt dies heute jenes allseits greifbare Smartphone in einer mehr als respektablen optischen Qualität und durch den Einsatz von smarten Algorithmen auch ohne jegliche fotografische Vorkenntnisse.

Selbst Situationen bei Schwachlicht, immer eine der Hauptherausforderungen für einen Fotografen, meistern Smartphones ab der Mittelklasse per „computational photography“ ohne Murren und unmerklich für den Nutzer. Physikalische Defizite durch Miniaturisierung des optischen Systems – wie z.B. fehlende Hintergrundunschärfe bei einem Porträt, simuliert einfach die Software. Und da die Ergebnisse meist im virtuellen Raum, sprich auf Handybildschirmformat, betrachtet werden, fällt der Unterschied kaum ins Gewicht. Zumal eh nur ein Profi auf derlei feine Details achtet.

Über die Auswirkungen dieser Bilderflut könnte man sicher ein Buch schreiben – das Kapitel KI sei dabei noch gar nicht angerissen. Aber optimistisch gesehen ergeben sich für den „aufgeschlossenen“ Lichtbildner kontinuierlich neue Möglichkeiten und Werkzeuge. Und da sind wir bei unserer aktuellen „Ersatz“-Ausstellung angekommen.

Die experimentelle Fotografie lässt traditionelle Grenzen hinter sich und öffnet die Tür zu einer Welt unvoreingenommener Kreativität. Sie bricht bewusst mit tradierten – und oft auch technokratischen (teures Equipment = gute Kreationen) – Regeln und erforscht neue Möglichkeiten der Bildgestaltung. Dies kann die Verwendung von minderwertigen Kameras und Optiken sein, exotische Belichtungstechniken (Gundula), Collagen, Mischtechniken oder halt digitale Manipulationen. Die Ergebnisse sind oft überraschend, surreal und gern fesselnd.

In der Kunstwelt trägt die experimentelle Fotografie dazu bei, andere Kreative zu inspirieren, ihre eigenen Techniken zu überdenken und neue Wege der Selbstexpression zu finden. Ausstellungsräume und Galerien präsentieren regelmäßig Werke dieses Sujets, um Vielfalt und Innovation zu feiern.

Einer, der erst spät, aber dann mit Macht zur Fotografie gefunden hat, ist unser November-Nachrücker Chris Brackmann. Ja – er hat sich lange bitten lassen, endlich mal seine Sachen auszustellen, statt sie „irgendwie so“ bei Insta zu posten. Aber ein Heimspiel ist ja auch immer herausfordernd. Wirkt es inzestuös? Legt es die eh schon zu hohe persönliche Messlatte noch höher? Muss man sich ausgerechnet vor so vielen bekannten Gesichtern zum Affen machen?
Oder doch einfach mal alle Bedenken zur Seite wischen und beherzt ins kalte Wasser springen? An diesem Punkt schalten wir einfach mal um in die Ich-Form und lassen den Herrn zu Worte:

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„Da ihr schon wieder einen so üppigen Vortext ertragen musstet, fasse ich mich kurz – ich werde am Abend der Ausstellung für ausführliche Gespräche zur Verfügung stehen (versprochen).
Als ich 1989 das Kommunikationsdesignstudium (sic!) in Essen beginne, habe ich mit der Fotografie noch so gar nichts am Hut. Als geborener SciFi-Fan komme ich vom Zeichnen ebensolcher Comics und den fotografischen Teil der Aufnahmeprüfung begehe ich ein wenig hilflos mit Papas Quelle-Urlaubsknipse für 29 Mark. Erstaunlicherweise nehmen sie mich trotzdem und da das Reglement vorsieht, dass Grafiker 3/4 Grafik und 1/4 Foto im Grundstudium absolvieren müssen (Fotografen umgekehrt), besteht die Notwendigkeit, sich zumindest eine ansatzweise adäquate Kamera zuzulegen.

So kommt die erste gebrauchte Spiegelreflexausrüstung zu mir und ich Physik-Abwähler wühle mich durch die technischen Grundlagen. Erstaunlicherweise geht das relativ easy (ich frage mich erneut, warum das in der Schule nicht geklappt hat) und das Medium entblösst mir seinen Suchtfaktor. Es ist das Unmittelbare. Als naturfauler Mensch kommt es mir sehr entgegen, das Motiv quasi auf Knopfdruck im Kasten zu haben. Natürlich ist es damit nicht fertig – zwei Entwicklungsprozesse liegen damals stets vor dem Betrachten der Ergebnisse – aber für mich ist der Entscheidungsmoment die Kunst. ICH, der Mensch, entscheide, wann und warum ich abdrücke. Notfalls im Bruchteil einer Sekunde.

Dieses Prinzip macht für mich den Reiz aus. Das Suchen, das Finden, die Entscheidung. Und ja – bei der analogen Fotografie bleibt immer noch die Spannung. Egal, wie gut du die Physik und dein Werkzeug drauf hast – es kann immer noch so einiges schief gehen. (Heute kurz aufs Display schauen und bescheid wissen. 36 oder 12 Aufnahmen? Pah!). Die Fotografie entwickelt sich für mich zur Spielwiese der Neugier. Parallel bleibe ich aber auch bei der Grafik und es liegt für mich schnell nahe, alles miteinander zu verquicken. Ich gehe wie ein Schwamm durch das Studium. Fotografie ist für mich ein Werkzeug, genauso wie Pinsel, Stift, Schrift oder etwas später der Computer. Ich habe nie verstanden, warum ich mich spezialisieren soll. Je mehr Werkzeuge, je mehr Optionen, desto besser. Und so studiere ich im Grunde beide Studiengänge bis zum Diplom parallel zuende.

Vielleicht ist diese Crossover auch der Grund, warum mich die „wahre“ Fotografie, also das Reine, Puristische, Realistische nie so gefesselt hat. Ich habe zwar viel als Fotograf gejobbt – Industrieproduktionen dokumentiert, Musiker und Bands begleitet (Letzteres mochte ich, weil diese Menschen sich gern selbst inszeniert haben. Die wollten immer dunkel und grimmig aussehen. Nicht lächeln.) – aber mein Herz schlägt schnell beim Abstrakten, Unvorhersehbaren, Mystischen. Ich baue mir Dioramen aus Licht und Pappfiguren, besorge mir die schlechtesten und billigsten Objektive und klebe sie zur Not mit Gaffa an meine Kiev 88. Nächtelang im elterlichen Keller im SW-Entwickler panschen, immer auf der Suche nach etwas Besonderem, nicht Reproduzierbarem. Der Gipfel des Ganzen: Ich kippe eine artfremde (ich sags nicht) Flüssigkeit in die Uni-Farbentwicklungsmaschine und kassiere zu Recht ein paar Wochen Laborverbot. Aber das wars wert. Und immerhin bestehen meine recht eigenwilligen Kompositionen neben den eher konkreten Werken der Kommilitonen vor den Professores.

Zwischenzeitlich kommt das nächste Spielzeug. Der Computer nebst Bildbearbeitung. Erst Amiga, dann Mac. Das erste Photoshop. Die Scanner sind echt schlecht – so dass die eh schon „speziellen“ Abzüge auf ihrem Weg auf die Diskette weiter an Individualität gewinnen – für mich ein klarer Zugewinn. Und endlich kann ich all meine Werkzeuge auf einer neuen Ebene zusammenführen … der Rest ist Geschichte. Und wäre nun wirklich zu umfangreich.

Im Grunde arbeite ich heute immer noch genau so. Natürlich digital. Analog ist mir doch zu aufwendig, ehrlich. Obwohl es mich reizen würde. Die Werkzeuge sind zahlreicher, raffinierter, die Rechner schneller, der Speicher billiger. Aber ich bin immer noch auf der Suche. Und je perfekter die Fotografie und ihre Ergebnisse aktuell sind und werden, umso mehr reizt es mich, genau dort gegenzusteuern, kaputt zu machen. LoRes gegen HiRes. Dekonstruktion. Dekompositionen im alltäglichen Umfeld. Transformation von Banalem zum Surrealen. Alte M42 Objektive und kein Photoshop. Ich nutze mathematische Algorithmen für meine ursprünglichen Aufnahmen – um sie zu zerlegen und neu zusammenzufügen. Visuell und im Bedeutungsraum. Bisschen wie früher – nur ohne runzlige Hände und Hausverbot. :-)

Kurz noch zur Ausstellung „Algorhythmus“.
Ich beschäftige mich momentan primär mit zwei sehr unterschiedlichen Stilen. Beim ersten versuche ich, möglichst ohne oder nur mit marginaler Nachbearbeitung auszukommen. Beschränke mich auf Kamera und Objektiv. Kurz: Ich suche nach Inszenierungen im Bokeh, der Unschärfe, von banalen Alltagssituationen.
Beim zweiten Stil, dem ich diese Ausstellung widmen möchte, nutze ich ein Set von experimentellen Tools zur intuitiven Manipulation der Ursprungsbilder. Dadurch transformieren sie in einen anderen Bedeutungsraum und durch die disruptiven Elemente entsteht häufig ein gewisser rhytmischer Duktus. Die Faktoren haben mich dann naheliegenderweise zum Titel der Ausstellung inspiriert. Und um das Ganze anzurunden, werde ich versuchen (weiteres Steckenpferd), noch eine begleitende Hintergrundmusik zu komponieren – sofern die Zeit reicht :-).“

Puh. Langer Text, aber ging irgendwie nicht kürzer. Kommt einfach reichlich – wir freuen uns ganz dolle auf euch!

Jesus & Chris

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